Wenn in einer französischen Komödie eine Frau mittleren Alters aus der Sackgasse ihres Lebens kurvt, denkt man schnell an Darstellerinnen wie Isabelle Huppert, Catherine Frot oder Isabelle Carré. Und weniger an Karin Viard, die mehr durch markante Neben- oder Ensemble-Rollen aufgefallen ist, etwa als gehörlose Mutter in „Verstehen Sie die Béliers?“ (2014). Das Debütantenduo Lauriane Escaffre und Yvonnick Muller hatte ursprünglich auch nicht an die aus der normannischen Hafenstadt Rouen stammende Actrice gedacht, die sich so gut in die Frauen aus Arbeiterklasse und Kleinbürgertum hineinversetzen kann. Karin Viard kam spät an Bord, aber was sie aus der Pariser Reinigungskraft macht, die einen Job bei der renommierten Pariser Kunstschule Académie des Beaux-Arts annimmt, ist schlichtweg eine Wucht.
Man kann sich kaum satt sehen an ihrem Gesicht. Wenn Maria (Karin Viard) sich zu erstem Mal dem labyrinthischen Prachtbau der Académie nähert, durchs Tor geht, an der Seite von ihrer Vorgesetzten Madame Desnoyers (Lauriane Escaffre) die Räume durchstreift, vorbei an antiken Statuen, studentischen Werkstätten und leuchtenden Installationen moderner Kunst – dann ist das sehr einnehmend. Angst mischt sich in ihrem Mienenspiel mit Ehrfurcht, gespannter Erwartung, Nervosität, aber auch mit Verzückung, kindlichem Staunen und einem Anflug von Offenbarung.
Freilich kommt es gleich am ersten Arbeitstag zu klassischen Missverständnissen und Anspielungen auf die berüchtigte Fettecke von Joseph Beuys, die von einem Hausmeister in Verkennung ihres künstlerischen Werts zerstört wurde. Aber entgegen gängiger Erwartungen reagiert die Frau aus dem Arbeitermilieu ganz anders auf die oft gescholtene Avantgarde-Kunst als so mancher Bildungsbürger, nämlich offen, neugierig und hilfsbereit. Es dauert nicht lange, bis sich Maria mit dem kauzigen Hausmeister Hubert (Grégory Gadebois) anfreundet – und mit der jungen, polyamor und bisexuell lebenden Studentin Naomie (Noée Abita).
Zwar ist die Geschichte, zu der Camille Ganivet das Drehbuch geschrieben hat, in ihrer Grundstruktur recht grob gestrickt. Durch die weiten Maschen sieht man schnell, worauf die Emanzipations- und Liebeskomödie hinauswill. Insofern schadet es auch nicht, dass der deutsche Verleih im Untertitel gleich das Ende verrät. Denn es kommt nicht auf den Grobstrick an, sondern auf die Feinheiten: die schimmernden Fäden, die fantasievollen Applikationen und Accessoires, die Schleifen und Bordüren. Im Detail entfaltet Maria träumt – Oder: Die Kunst des Neuanfangs einen Zauber, der auf mehreren Elementen beruht.
Zum einen sind da die magisch verdichteten Ansichten von Installationen, bizarren Mobiles oder organischen Objekten, die vor sich hinschimmeln. Und zum anderen tragen die Darstellerinnen und Darsteller Entscheidendes zu den verträumten Aspekten dieser Wohlfühlkomödie bei. Karin Viard als Maria entfacht den Funken, den die akademische Atmosphäre von Freiheit und Selbstfindung in ihr entzündet, nach und nach zu einem inneren Feuer, das nicht nur sie selbst auftauen lässt, sondern auch ihre Umgebung wärmt. Grégory Gadebois als Hausmeister ist ein Bär von einem Mann, aber einer von der sanften, kuschelig-verspielten Sorte. Wenn er heimlich in seinem Büro mit Online-Tutorials den Elvis-Imitator gibt, paart sich Körpermasse mit erstaunlicher Eleganz. Und Noée Abita führt ihren selbstbewussten Kampf für die Freiheit der weiblichen Sexualität mit zerbrechlicher Durchlässigkeit.
Selbst die eher auf Comedy getrimmten Nebenrollen, die in zwei Fällen vom Regieduo selbst gespielt werden, setzen nicht alleine auf Karikatur, sondern überraschen mit nachdenklichen Momenten. Die Filmemacher Lauriane Escaffre und Yvo Muller haben übrigens nicht nur am Originalschauplatz der Pariser Académie gedreht, sondern dort auch recherchiert und mit Studenten und Personal gesprochen. Nach ihrer Erfahrung gibt es tatsächlich Freundschaften oder zumindest unterstützende Beziehungen auf Gegenseitigkeit zwischen den jungen Leuten und den Reinigungskräften.
In all der sprichwörtlich französischen Leichtigkeit zeichnet sich so auch eine gesellschaftspolitische Relevanz ab. Es gibt sie Gott sei Dank noch, diese Nischen von künstlerischer und akademischer Freiheit, in denen nicht der ökonomische Nutzwert von Wissen oder Können gefragt ist, sondern deren Bedeutung für die innere Freiheit und Persönlichkeitsentwicklung.
Die Regieführenden Lauriane Escaffre und Yvo Muller wissen diese Sphären umso mehr zu schätzen, als sie selbst nicht aus dem bildungsbürgerlichen Milieu stammen. Sondern aus Familien, in denen die freien Künste von vornherein als die brotlosen gelten. Ihre Eltern schickten sie zwar auf Eliteschulen und zum Studium, aber zunächst ergriffen die späteren Regisseure Brotberufe, bevor sie – wie Ihre Hauptfigur – den Sprung in neue Gefilde wagten. In ihrem Fall waren dies das Theater, die Schauspielerei und dann auch die Filmhochschule. In das komödiantische Format ihres Debüts flossen diese Erfahrungen ein. Das spürt man in jeder Einstellung.